Die Muse

Was macht die Muse, wenn sie einen nicht küsst?
Und küsst die Muse jeden?
Muss man dazu bereit sein, einen Kuss zu empfangen?
Sollte man schon Kusserfahrungen mitbringen?
Bevorzugt die Muse einen erfahrenen Küsser?

Sehen wir uns doch mal den normalen Tag einer Muse an

Dank der Gründung einer Musen Gewerkschaft zu Zeiten vor Entstehung der Erde (woher sollte er denn sonst die Idee dazu gehabt haben), gab es ausgewogene Sozial- und Arbeitspläne um alle Zeiten, Welten und Wesenheiten abzudecken, ohne einen ungeküssten Moment auszulassen.
Auch Musen benötigen Schlaf, was den Zustand unserer kleinen Muse Xh exakt beschreibt. Wie spät es war, will man am besten nicht wissen, da man mit dem Ergebnis von Viertel-vor-was-weiss-ich-halb-nach-gestern gar nichts anzufangen weiss, obwohl es in diesem Fall genau zutrifft. Da es doch sehr langweilig ist, einer Muse beim Schlafen zu zusehen, gehen wir direkt zu dem Moment, da sie aufwacht. Sie streckt ihre Arme, rollt sich auf die andere Seite ihres Bettes und macht das, was eine Muse am Morgen so macht. Sie schläft nochmals auf der anderen Seite ein und wartet auf einen besseren Zeitpunkt aufzuwachen. Dies ist äusserst gefährlich, da Musen selber niemanden haben, von dem sie geküsst werden und schon einige Musen in ihrem Bett umgekommen sind, da sie keine Eingebung erhielten aufzustehen und sich so lange hin und her drehten, bis sie vor Erschöpfung und Sauerstoffmangel in ihren Urzustand von Licht, Leichtigkeit und der letzten grossen Idee übergingen.

Versuchen wir also besser beim nächsten wachen Moment der Muse anwesend zu sein.

Sie wälzte sich wiederum herum und lies sich die Nase von einem Sonnenstrahl kitzeln. Unfähig dem Sonnenstrahl auszuweichen, schob sich, einem Sicherheitstor vor einem Geschäft beim Öffnen gleich, das rechte Augenlied leicht herauf und die darunter liegende Pupille schloss die Tore wieder zu, ab der gewaltigen Lichterflut, die sich ihr entgegen drängten. Nochmals öffnend, erst rechts, dann links und schlussendlich wieder in die Mitte sehend, wanderte die Pupille herum, um die Umgebung zu erfassen und sich dem aktuellen Zustand da draussen bewusst zu werden.
Man könnte meinen, dass es Äonen gedauert habe, bis sich auch der linke Augendeckel erhob und sich nun zwei Augen im Einklang hin und her bewegten, sich wieder schlossen und eine Hand über das Gesicht und die Augen rieb.
Tief einatmend und gleich darauf seufzend ausatmend war der Rhythmus des Schlaf Rhythmusses gebrochen und frische Luft in die Lungen gebracht.

Keuchend, hustend, spuckend schoss Xh aus ihrem Bett, flog einem Fluggeschoss gleich zum Fenster, riss es auf, um echte frische Luft atmen zu können. Da hatte tatsächlich jemand zu lange in diesem Zimmer gelegen und im Schlaf den Sauerstoff mit verbrauchter Luft ausgetauscht, so dass für einen anständig tiefen Atemzug nicht genug übrig geblieben war. Da sie nicht nochmal dieses Zimmer durchqueren wollte, flog sie etwas benommen, dabei hin und her schwankend, einfach aus dem Fenster raus und durch die Haustüre, die sie wohl wieder mal offen gelassen hatte, in das Haus rein und direkt in die Küche. Mit der einen Hand nach den Zigaretten angelnd und mit der anderen den Knopf an der Kaffeemaschine betätigend stand sie in der Mitte zwischen Tisch und Theke und konnte weder das Eine, noch das Andere erreichen. Der Kampf der Süchte war schnell ausgetragen und mit einer nun schon brennenden Zigarette im Mund konnte man sich prima einen Kaffee machen. Während der Kaffee plätscherte, schob Xh fluchend eine dreckige Tasse unter den Auslass, um wenigstens etwas von dem noch nicht verschütteten Kaffee abzubekommen.

Hustend und stossartig schoss der Rauch aus ihrem Mund. Hätte schon lange mit dem Rauchen aufhören sollen.  Drückte die Zigarette im Kaffee aus, da ihr der Appetit auf Kaffee nun auch vergangen war. Erst mal eine heisse Dusche und sich frisch machen.

Hmm, war sie eben nackt aus dem Fenster und wieder zur Tür rein geflogen. Ach egal, Musen sind ja zum Anregen da, dachte die sie sich, während sie durch den Gang schwebte und in das Badezimmer ab bog. Sie würde es als ausserordentliche Arbeitszeit eingeben.

Wenigstens das Wasser war heute warm und mochte den Tag zu retten. Als sie so das Wasser über den Körper herab plätschern liess und die Wärme zurückkehren spürte, verging der Morgenärger etwas und machte sich mit der bald eintreffenden Arbeitresignation bekannt, welche ihre Gedanken glücklicherweise noch nicht erreicht hatte.
Angezogen und die Haare schon trocken, blickte sie in den Spiegel und übte ihren, ich bin die Muse und entweder lässt du mich dich küssen, oder ich hau dir so einen rein, dass du wenigstens eine Sternchenerfahrung hast, Blick ein.
Sie fand sich mit dem Ergebnis ab und flog durch die Türe, den Gang zurück und die Haustüre hinaus, dem Stempeltempel entgegen.

Auch wenn sie schneller als der Blitz fliegen konnte, nahm sie es gemütlich und liess sich über die Höfe, Häuser und Felder tragen. Liess die Sonne auf ihren Körper scheinen und den Wind mit ihren Haaren spielen. Die Landschaft sah heute einfach zu kitschig aus, zu Pastell, zu hell, irgendwie ausserirdisch übernatürlich gut.

Es gefiel ihr.

Gestern noch hatte sie einen stinkenden Wikingergott geküsst. Schweissig, nach Alkohol und Blut stinkend war er auf einer Holzbank gesessen und hatte tief in seinen Trinkbecher gesehen, getrunken und mit seinen stinkenden Kumpels gefeiert. Sie hatte lange mit sich kämpfen müssen, um ihm überhaupt einen Kuss zu zu hauchen. Ja, sie hatte ihn nicht direkt geküsst. Sie konnte doch kein nach Schwein stinkendes Wesen küssen, hatte ihm dann einfach einen Kuss zu gehaucht, anstatt ihn ordentlich zu bemusen.

Statt, dass er die Idee der Umgestaltung der Gesellschaft erhielt, fand er, müsste man die aktuell anwesende Gesellschaft umgestalten und fing eine deftige Kneipenschlacht an.

Natürlich war das jemandem aufgefallen und nun musste sie heute nochmals da hin und ihm die Idee richtig rüberbringen. Ihre Argumente, da stinkend und abstossend, waren auf taube Ohren gestossen. Aufgabe sei Aufgabe und schliesslich gäbe es Schlimmeres, hat es geheissen und daher habe sie nochmals zu gehen und es diesmal richtig zu machen.

Am Stempeltempel angekommen, steckte sie ihre Karte in den Automaten und wartete auf das laute bestätigende Gekröse der Maschine, der ihre Anwesenheit quittierte. Bevor sie noch jemand ansprechen konnte, flog sie wie der Blitz ab, mit Ziel Wikingergott, diesmal hoffentlich in besserer Stimmung.

Sie trat in einem Lichtblitz in die neue Dimension ein und kam einen Meter von ihm entfernt in der Luft zu stehen.

Eine perfekte Punktlandung.
Da lag er.
Unter der Holzbank.
Schlimmer stinkend als zuvor, seine Kumpels wohl schon lange abgezogen.
Er schien zufrieden zu sein, so laut wie er schnarchte. Sie beneidete ihn darum so heftig feiern zu können, aber wie hiess es so schön, Arbeit war Arbeit.
Also packte sie ihn am Nacken und zog ihn hinter sich her, nach draussen. Direkt in den Brunnen hinein und drückte seinen Kopf feste unter Wasser. Dann hob sie den Kopf aus dem Wasser raus und machte es dem Waschen mit einem Waschbrett gleich und stiess ihn immer wieder hinein und zog ihn gleich danach wieder heraus. Voller Einsatz bei der Arbeit würde sie später sagen, wobei sie eigentlich nur ihren Frust und Missmut, über das nochmalige hier Erscheinen müssen, raus liess.

Da fing er, einem Fisch gleich, an zu zappeln und sich zu wehren und mit allen Gliedmassen um sich zu schlagen und halt zu suchen. Xh bewegte sich etwas vom Brunnen weg und wartete seine nächsten Handlungen ab. Immer noch benebelt, wie er schien, sass er mitten im Brunnen und versuchte heraus zu finden, was los war und wie er hier rein gekommen sein könnte. Da er aber niemanden sehen konnte, dem er diesen Plantschversuch zuschieben konnte, erhob er sich schwankend und hielt sich mit beiden Händen am Rand fest, während er den Brunnen verliess. Sobald er aus dem kalten Wasser war, setzte er sich gleich darauf wieder hin und leerte seinen Helm, der obgleich der rabiaten Behandlung, erst im Brunnen von seinem Kopf gefallen war, fuhr mit seiner Hand über das Gesicht um einen klareren Blick zu erhalten und blieb erst mal tropfend und sich beruhigend bewegungslos sitzen. Xh sah zufrieden dem Wasser zu, dass immer noch rieselnd und tropfend von seiner Kleidung herab lief. Grob gewaschen war er jetzt erst mal, könnte sogar für einen Kuss reichen dachte sie.

Minuten später fing er an zu grummeln, sich zu schütteln und langsam wieder richtig wach zu werden.

Zeit in Aktion zu treten dachte Xh und trat an ihn heran.
In dem Moment da er aufstand, küsste sie ihn auf die Stirn und sah zu, als er voll aufgerichtet war, wie er leicht verwirrt die Stirne runzelte.

Man konnte die Gedanken, einem Uhrwerk gleich, in seinem Schädel rattern hören. Wo sie eben noch vor sich hin geschlichen waren, sprangen sie nun ungehindert über Stock und Stein, rannten durch die ganze bisherige Erlebniswelt und durchstiessen die Wolken des grauen Lebens. Sie schienen fast aus den Augen zu springen, als die Erleuchtung über ihn kam und er mit grossen glänzenden, geöffneten Augen davon rannte um sie zu verwirklichen.
Xh seufzte auf, während sie ihm hinterher sah und ihre Zigaretten hervor holte. Arbeit erledigt, nun die Belohnung.
OHH NEIN! Das durfte nicht wahr sein.

Alles Nass, wegen der Plantscherei von vorhin.
Sie schmiss das Zigarettenpäckchen auf den Boden, trat mit aller Wucht mit dem Fuss nach dem Brunnen und es schien immer noch wie ein Rohrspatz zu fluchen, als der Blitz und ihre Erscheinung schon lange aus dieser Dimension verschwunden waren.


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